Systemlieferanten scheitern an ihrem Außendienst

wirtschaft + weiterbildung

Ausgabe: 30.09.2007

Systemlieferanten scheitern an ihrem Außendienst

VERKÄUFERFÜHRUNG. Viele Systemlieferanten wollen davon weg, nur Produkte zu verkaufen. Insbesondere die Zulieferindustrie träumt davon, zum Problemlösungspartner ihrer Kunden zu werden. Nach einer aktuellen Umfrage der Universität Mannheim scheitert dieser Ansatz aber oft an den Vertriebsmitarbeitern und ihren Führungskräften.

„Wie gelingt es uns, unseren Kunden statt Standardprodukten maßgeschneiderte, komplexe Problemlösungen zu offerieren?“, das fragen sich immer mehr Hersteller von Industriegütern. Ihr Ziel: Sie wollen sich vom Produktlieferanten zum Systempartner entwickeln. Soweit die Theorie. Doch den Verkäufern der Zulieferer fehlt leider allzu oft die erforderliche Kompetenz, um den individuellen Bedarf der Kunden zu erforschen und darauf angemessen zu reagieren. Und restlos überfordert sind viele ehemalige Produktverkäufer, wenn sie komplexe Projektgeschäfte akquirieren und professionell managen sollen.

Dies belegt die Studie „Strategische undoperative Herausforderungen im Vertrieb von Industriegütern und industrienahen Dienstleistungen“, die das Institut für Unternehmensführung der Hochschule Mannheim zusammen mit der Unternehmensberatung Peter Schreiber & Partner, Ilsfeld, erstellt hat. Die Studie kommt zum Ergebnis: 65 Prozent der befragten 99 Topmanager aus der Industrie sind der Auffassung, ihre Mitarbeiter hätten die neue Vertriebsstrategie der Systempartnerschaft noch nicht ausreichend „verinnerlicht“.

Dem Druck auf die Preise etwas entgegensetzen

Und fast die Hälfte der befragten Vorstände und Geschäftsführer sind zudem überzeugt, dass das auch an den Führungskräften im Vertrieb liege. Sie könnten aus der Vertriebsstrategie nicht die erforderlichen operativen Ziele und Maßnahmen ableiten – unter anderem, weil ihnen die analytischen und konzeptionellen Fähigkeiten hierzu fehlten. Folglich gelänge es ihnen auch nicht, ihre Mitarbeiter auf die neuen Verkaufskonzepte einzuschwören.

Professor Dr. Matthias Klimmer, der die Studie konzipierte und betreute, kennt die Sorgen der Zulieferer und Systemlieferanten. Um dem permanenten Druck auf die Preise zu entgehen, setzen viele auf eine stärkere Pflege der Kundenbeziehungen (95 Prozent) und einen „Ausbau des Dienstleistungs- und Serviceangebots“ (86 Prozent). Zudem wollen sie prozentuale Margenverluste durch ein „konsequenteres Ausschöpfen der Umsatzpotenziale mit Stammkunden“ und das Gewinnen neuer Kunden im „angestammten Zielsegment“ ausgleichen und so die realen Deckungsbeiträge Auch diese Aussagen überraschen nicht. Denn faktisch haben die Industriezulieferer, wie der Co-Autor der Studie Peter Schreiber betont, „zumeist gar keine anderen strategischen Optionen“.

Der Vertriebsspezialist erläutert dies an einem Beispiel: „Nehmen Sie die Zulieferer der Automobilindustrie. Wenn sie wachsen möchten, haben sie nur eine strategische Möglichkeit – sofern sie nicht in neue Geschäftsfelder expandieren oder Mitbewerber aufkaufen: Sie müssen den ein oder zwei Dutzend Autoherstellern, die es weltweit gibt, mehr verkaufen.“ Sie müssen also entweder die Lieferanteile und -umfänge bei ihren „Bestandskunden“ erhöhen oder ihren Mitbewerbern Kunden abnehmen. Und insbesondere Letzteres gelingt ihnen in der Regel nur, wenn sie sich gegenüber ihren Mitbewerbern als die besseren Partner profilieren. „Denn mit dem Instrument Preis allein kommt man bei der Neukundenakquise nicht weit“, betont Schreiber. „Mit einer Ausnahme: Die Produkte oder Dienstleistungen sind sehr einfacher Natur und haben für die Leistung des Unternehmens eine geringe Relevanz. Dann ist es den Unternehmen letztlich egal, wer ihnen zum Beispiel die Schräubchen liefert – Hauptsache, der Preis stimmt.“

In einer ähnlichen Situation wie die Zulieferer der Automobilindustrie befinden sich auch die Zulieferer in vielen anderen Branchen. So zum Beispiel die Hersteller von Chips für Handys und PCs – auch sie haben weltweit nur ein, zwei Dutzend potenzielle Abnehmer für ihre Produkte. Und diese Situation wird sich laut Klimmer verschärfen – weil in vielen Märkten die Zahl der potenziellen Kunden der Industriezulieferer und -dienstleister schrumpft. Zum Beispiel, weil diese fusionieren. Oder weil sich Abnehmer auf ihr Kerngeschäft besinnen und Geschäftsbereiche schließen. Auch hierdurch sinkt die Zahl der potenziellen Kunden. Dies gilt nicht nur für die globalen, sondern auch für die nationalen und regionalen Märkte. Martina Neef, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Unternehmensführung der Hochschule Mannheim, nennt ein Beispiel: „Nehmen Sie die Druckbranche. In Deutschland gibt es heute deutlich weniger Druckereien als vor zehn Jahren.“ Teils, weil Betriebe endgültig ihre Pforten schlossen, teilsweil sie fusionierten, teils weil Betriebe ins Ausland verlagert wurden. „Also stehen auch die Zulieferer der Druckunternehmen vor der Herausforderung, sich entweder neue Geschäftsfelder oder Märkte zu erschließen oder den Lieferumfang mit den Kunden in ihrem angestammten Markt zu erhöhen – zum Beispiel indem sie ihnen Zusatzleistungenanbieten.“

Der Vertrieb der Systemlieferanten denkt weiterhin produktorientiert

Die erforderlichen Grundsatzentscheidungen hierfür haben viele Unternehmen getroffen. Auch die nötige fachliche Kompetenz haben viele schon aufgebaut. Trotzdem bleibt in zahlreichen Unternehmen die strategische Grundsatzentscheidung „Wir wollen uns zum Problemlösepartner unserer Kunden entwickeln“ eine Willenserklärung. Warum? Ihre Kunden nehmen sie weiterhin als Produktlieferanten wahr. Sie trauen ihnen nicht die Kompetenz zum Lösen komplexerer Aufgaben zu.

Ein zentraler Grund hierfür lautet: „Die Vertriebsmannschaften vieler Zulieferer agieren weiterhin so, als sei ihr Unternehmen ein reiner Produktlieferant.“ Das beginnt beim Führungspersonal. Mancher Vertriebsleiter führt seine Mitarbeiter noch so, wie er es schon immer tat. Das heißt, er gibt seinen Mitarbeitern zum Beispiel vor: Bis Ende des Quartals müsst ihr 300.000 Euro Umsatz bringen. „Er analysiert mit seinen Mitarbeitern aber nicht, mit wem und womit diese die geforderten Umsätze erzielen können. Und schon gar nicht tüftelt er mit ihnen aus, wie sie dabei strategisch und taktisch vorgehen sollten.“ Das heißt, die Vertriebsleiter vereinbaren mit ihren Mitarbeitern wie bislang nur quantitative Vertriebsziele. „Sie entwickeln mit ihnen aber keine Selling-Pläne, die ihnen den Weg zum Erfolgaufzeigen“, kritisiert Schreiber. „Und häufig übersehen sie, dass man im Projektgeschäft mit einer Quartalsdenke nicht weitkommt. Da muss ich heute den Vertriebserfolg in zwei, fünf oder gar zehn Jahrenplanen.“

Systemlieferanten scheitern an ihrem Außendienst - Studie

Unterstützung muss von Führungskräften kommen

Dass hier Entwicklungsbedarf besteht, dokumentiert auch die Studie. 40 Prozent der befragten Vorstände betonen, die Vertriebsstrategien müssten sich noch klarer an den Unternehmenszielen orientieren. Und 71 Prozent erachten eine stärkere Differenzierung der Vertriebsstrategien für wichtig, damit diese den Anforderungen der verschiedenen (Teil-) Zielgruppengerecht werden. Übersetzt heißt dies: Neben den Produkten müssen auch die Vertriebsstrategien der Sytemlieferanten stärker auf die verschiedenen Teilzielgruppen und häufig sogar auf Einzelkunden zugespitzt werden. Eine Schlussfolgerung, die für Martina Neef nahe liegt: „Was nützt es einem Unternehmen, wenn es für seine Zielkunden zwar stets individuellere und umfassendere Problemlösungen entwickelt, seine Verkäufer aber nach Schema ,F‘ agieren und weiterhin produkt- statt kundenorientiert argumentieren?“ Allein schaffen die Verkäufer diesen mentalen Turnaround nicht. Sie benötigen die Unterstützung ihrer Führungskräfte. Das sehen auch die befragten Top-Manager so. Sie begreifen die unbefriedigende Vertriebskompetenz nicht nur als individuelles, sondern auch als organisatorisches Problem. Diese Vermutung legt die Tatsache nahe, dass 60 Prozent betonen, die „Kultur im Vertrieb“ müsse noch stärker am Kunden orientiert werden, und gar 73 Prozent sagen, der Vertrieb müsse sich insgesamt noch stärker als „Problemlöser“ verstehen.

Die Studie „Strategische und operative Herausforderungen im Vertrieb von Industriegütern und industrienahen Dienstleistungen“ kann für 95,- Euro hier angefordert werden.

Preisstrategie Peter SchreiberPeter Schreiber

Managementberater, Business-Coach und Vertriebstrainer für B2B-Vertriebsorganisationen. Inhaber der Unternehmensberatung PETER SCHREIBER & PARTNER. Als Dozent ist er u.a. tätig beim ZfU Zentrum für Unternehmungsführung in Thalwil / ZH (Schweiz) sowie als Lehrbeauftragter an der Hochschule Mannheim, Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen. U.a. ist er Autor des Buches „Das Beuteraster“, Orell Füssli Verlag, ISBN 3-280-02663-6. Mit dem Auge für das Machbare verknüpft er für seine Kunden ideal Wissenschaft und Praxis.

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